Wenn Maschinen mit Maschinen verhandeln

Haben Sie schon mal eine Blockchain gesehen oder einen Smart Contract abgeschlossen? Wenn Sie nicht gerade am Fraunhofer IML arbeiten oder forschen, dürfte das eher selten der Fall sein. Trotzdem meinen erstaunlich viele Leute irrtümlich, ein solides Verständnis von dieser Technologie zu haben, die dabei ist, Wirtschaft, Handel und Gesellschaft von Grund auf zu verändern. Daran ist die Bitcoin nicht ganz unschuldig.

Seit ihr Kurs Kapriolen schlägt und Kryptowährungen heftig diskutiert werden, verwechseln viele Zeitungsleser und Internetbesucher Bitcoins mit der Blockchain. Dabei ist der Unterschied recht einfach: Die Bitcoin läuft auf einer Blockchain. Und diese Blockchain, also eine nahezu fälschungssichere „Verkettung“ von Daten-„Blöcken“, macht die Kryptowährung erst möglich und sicher (allerdings nicht gegen Kursspekulationen, aber das ist ein anderes Thema). Viele andere Verwendungen der Blockchain werden nicht annähernd so publikumswirksam diskutiert.

Wussten Sie zum Beispiel, dass auf den Servern des Fraunhofer IML bereits etliche Blockchain-Anwendungen laufen? Oder dass wir, zusammen mit Diebold Nixdorf und Claas, unseren beiden SOFiA (Smart Objects and Smart Finance)-Projektpartnern, eine Blockchain-Festumgebung installiert haben? Diese Umgebung ermöglicht es, den Ernteprozess in der Landwirtschaft, sowohl was das Material als auch was die Finanzen angeht, komplett, transparent und vor allem sicher darzustellen. Mit einer integrierten Payment Cloud können die entsprechenden Zahlungen digital über die angeschlossene Bank abgewickelt werden. Das nennt man auch Smart Payment. Mit Smart Payment muss kein Mensch mehr Geld in die Hand nehmen. Nehmen wir die cyberphysischen Systeme hinzu, wird es noch spannender, insbesondere für den B2B-Bereich.

Schon heute sind cyberphysische Systeme in Versorgung, Transport und Lagerhaltung in Einsatz. Sie transportieren Waren und Artikel. Bereits heute „beladen“ wir sie nicht nur mit Artikeln und Gütern, sondern auch mit umfänglichen Transportwege-, Navigations-, Produkt-, Zustands- und dank unserer Forschungsergebnisse zunehmend auch Finanzinformationen. Deshalb finden sie autonom ihren Weg zum Empfänger. Was wäre, wenn sie sich nicht nur autonom bewegen, sondern auch autonom miteinander verhandeln könnten? Bei ständig sich wiederholenden Standardverhandlungen würde das den Menschen in Liefernetzwerken und Handel enorm viel Arbeit abnehmen. Wenn aber die Dinge schon miteinander verhandeln können, dann müssen sie „nur“ noch miteinander Verträge schließen, um die Vision des Internets der Dinge (Internet of Things, IoT) vollständig zu realisieren. Dann würde man von autonomen Verträgen bzw. Smart Contracts reden – ebenfalls ein zukunftsweisendes Anwendungsfeld der Blockchain-Technologie.

Maschinen, die eigenständig miteinander Verträge aushandeln und abschließen? Hört sich gut an, ist aber bislang nicht möglich, weil die passenden Plattformen dafür noch fehlen. Genau aus diesem Grund wollen wir am Fraunhofer IML in eine geeignete Smart-Contracting-Plattform entwickeln. Auf dieser Plattform können dann einkaufende Unternehmen mit Lieferanten, Finanzinstituten und Versicherungen zusammenarbeiten, Lieferverträge abschließen, sie versichern und die bezogenen Waren bezahlen. Da schließt sich eine Lücke im Internet der Dinge: Cyberphysische Systeme können noch so weit entwickelt sein – wenn sie nicht auch selbständig Verträge schließen können, sind die autonomen Einheiten nicht wirklich autonom und effizient.

So eine Plattform werden wir in den nächsten Monaten zusammen mit ausgewählten Praxispartnern im Rahmen von anwendungsorientierten Forschungsprojekten weiter entwickeln – und damit auch einen substanziellen Beitrag zum Aufbau der vielbeschworenen Plattform-Ökonomie leisten. Es geht dabei um nicht weniger als die Zukunft von Supply Chain Management und Handel. In dem Maße, wie die unvergleichliche Transparenz einer Blockchain Einzug in die Wertschöpfungsnetzwerke hält, wird nämlich auch die verbreitete Informations-Asymmetrie entlang vieler Wertschöpfungsketten abgebaut: Alle Partner verfügen plötzlich über dieselben Informationen! Dadurch werden Handelsbeziehungen von gegenseitigem Vertrauen und nicht mehr von Machtverhältnissen geprägt sein – wie heute leider noch oft üblich.

Die „kalte“ Technik sorgt für mehr Fairness und Vertrauen in Liefernetzwerken? Das ist eine etwas überraschende Perspektive der aktuellen technologischen Entwicklungen und dem damit einhergehenden Technologie Push. Überraschend, aber sehr willkommen.

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