Stärker als jede Krise

Wahrscheinlich fühlen wir uns alle momentan so wie in dem Film „Täglich grüßt das Murmeltier“: in der Endlosschleife. Wobei uns nicht nur Corona in der Schleife festhält.

Zeitgleich mit Corona sehen wir uns mit diversen anderen Negativmeldungen konfrontiert: Chipmangel, Container-Staus vor Häfen, Plastik im Ozean, Heiz- und Energiekostenexplosion, Klimawandel, Fahrermangel in der Logistik und so weiter und so fort. Wöchentlich gibt es neue schlechte Nachrichten und stets reagieren weite Teile von Verantwortlichen und Bevölkerung schockiert und überrascht – als ob das jetzt was Neues wäre. Ist es nicht.

Schon zu Zeiten der Ölkrise in den 70ern und spätestens seit der Weltfinanzkrise 2008 sagten Politik, Wissenschaft und Management: „Wir müssen daraus lernen! Wir müssen unsere Supply Chains stabiler machen! Wir brauchen nicht nur ein reaktives Krisenmanagement, sondern ein proaktives Risikomanagement entlang der kompletten Supply Chain!“ Ich frage mich nicht zum ersten Mal, ob das nur gute Vorsätze waren.

Gewiss: Viele Unternehmen haben seither ihre Liefernetzwerke stabilisiert. Doch selbst wenn manche Netzwerke heute doppelt so stabil sind wie damals, sind auch die Krisen zehnmal so virulent geworden. Viele reden von Supply Chain Resilience – erreicht haben sie bis heute noch zu wenige, da in vielen Unternehmen nach wie vor die Senkung der Kosten Priorität hat.

Die vierte Corona-Welle hat im Herbst tatsächlich viele überrascht. Wobei man sich schon fragen muss, was daran überraschend sein könnte, wenn die Impfquote schwach ist und deshalb die Inzidenz nach oben geht. Genauso wenig überrascht, dass neben der Automobilindustrie auch die Unterhaltungselektronik Chips braucht und letztere dann in Konkurrenz zu ersterer tritt. Auf diese Weise ließe sich Krise für Krise durchdeklinieren.

Eines ist klar: Wir können offensichtlich noch immer nicht verlässlich künftige Krisen auch nur mit tolerablem Schätzfehler in Zeitpunkt, Intensität und Ausmaß prognostizieren. Aber das müssen wir auch nicht. Es würde völlig ausreichen, wenn unser Supply Chain Risk Management endlich so gut mit Tools ausgestattet wäre, dass wir im Krisenfall sofort schnell und effektiv gegensteuern könnten, mit entsprechend positiven Auswirkungen auf die Resilienz von Supply Chains. Deshalb brauchen wir mehr und stärker denn je ein echtes Supply Chain Management,

  • das ein vernünftiges Risk Management-System etabliert hat, welches es Unternehmen erlaubt, Risiken frühzeitig und umfänglich zu identifizieren, zu analysieren, zu bewerten und zu managen.
  • bei dem sich die Partner entlang aller Wertschöpfungsstufen vollumfänglich untereinander austauschen – wie sonst sollten Risiken in weltweit verzweigten Wertschöpfungsnetzwerken sicher und proaktiv gemanagt werden können?
  • bei dem die Transparenz nicht plötzlich nach Tier-1 oder Tier-2 abreißt, weil man nicht mehr weiß, welcher Vorlieferant davor kommt.
  • bei dem Kooperationen auch und gerade im Wettbewerbsumfeld problemlos funktionieren, um (natürlich im Rahmen der Wettbewerbsgesetze) gemeinsam besser zu planen, Risiken und Krisen besser zu managen – bevor sie entstehen.

Natürlich kann man den krisenbestätigten Mangel all dieser Anforderungen anprangern und sagen: Wir alle haben nichts oder zu wenig gemacht! Wenn wir das tun, dann muss sich die Wissenschaft aber auch an die eigene Nase fassen und eingestehen, dass wir diesbezüglich wirklich alle im selben Boot sitzen. Wir müssen in unseren Forschungsprojekten noch intensiver an der resilienten Supply Chain der Zukunft bauen, damit wir mit den ganzen Krisenbedrohungen besser umgehen können als das im Moment der Fall zu sein scheint. Das lässt sich übrigens sehr schön nachlesen in unserem Fraunhofer-Paper zur Resilienz von Organisationen, Infrastrukturen und anderen komplexen Systemen.

Auch in Dortmund forschen wir bereits an den neuesten Technologien, die uns bald schon helfen können, Prozesse und Organisationen entlang von Wertschöpfungsnetzwerken so zu managen, dass wir künftig mit den dann in naher und ferner Zukunft auftretenden Krisen deutlich besser umgehen können. Gute neue Instrumente ermöglichen ein Supply Chain (Risk) Management, das diesen Namen verdient, weil es eben nicht nur begrenzt auf den Einkauf oder die Logistik Risiken bis zu einem bestimmten Tier-Level managt, sondern für alle Belange und mit allen Partnern im Wertschöpfungsnetzwerk. Das ist kein Luxus.

Denn die nächsten Krisen sind bereits absehbar: Klimawandel, die nächste Epidemie, Rohstoff-Krisen, Inflation … Wir können diese Krisen nicht annähernd zuverlässig vorhersagen. Doch wir können absolut zuverlässig prognostizieren, dass sie kommen werden. Und wenn nicht sie, dann andere. Die sicheren Zeiten sind vorbei. Erwarten wir besser das Unerwartete. Bei dieser Art des Expectations Managements stehen wir Ihnen gerne zur Seite. Auch im neuen Jahr. Das Team vom Fraunhofer IML wünscht Ihnen inmitten aller tobenden Krisen eine gute und vor allem gesunde Adventszeit. Bleiben Sie resilient!

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