Das Ende der Globalisierung?

Es gibt ein Thema, das mich in Vorbereitung auf mehrere Veranstaltungen in nächster Zeit stark beschäftigt – und sicher nicht nur mich: Unsere internationalen Lieferketten und wie wir aktuell damit umgehen oder besser damit umgehen sollten. Dieses Thema habe ich bereits zuvor an dieser Stelle angesprochen, eben weil es aktueller ist denn je in der neueren Wirtschaftsgeschichte. Wenn die Probleme in den Lieferketten bereits bis zu den Endverbrauchern vordringen, die seit Wochen häufig vor leeren Regalplätzen stehen, dann liegt wirklich einiges im Argen.

Sonnenblumenöl, Mehl, Kabelbäume für Autos, Verpackungsmaterialien für Handel und Handwerk, ja selbst Gelbe Säcke – alles zeitweilig oder auch längerfristig vergriffen. Da fragt sich natürlich der Laie, wie das sein kann, weil bisher doch immer alles so schön reibungslos funktionierte. Der Experte hingegen wundert sich: Wie kann ein einziges „unvorhersehbares“ Ereignis komplette Lieferketten lahmlegen? Als ob man das wirklich nicht hätte vorhersehen können; Stichworte Risk Management oder auch Szenario-Technik. Und diese „singulären“ Ereignisse sind keineswegs so singulär, wie immer angenommen. Sie mehren sich auffällig.

Corona, Invasion, Hochwasser-Katastrophe, verstopfter Suezkanal … all das unterstreicht die dringende Notwendigkeit der Weiterentwicklung unserer Methoden und Instrumente des Supply Chain Managements – und auch das sage ich hier nicht zum ersten Mal. Ich wiederhole das oft und gerne, weil etwas anderes in diesen Tagen von anderer Seite noch viel öfter wiederholt wird. Nämlich die populäre Forderung, nun doch bitte zu regionalisieren, weil die Globalisierung ja offensichtlich „nicht mehr funktioniert“. Das scheint mir deutlich zu kurz gesprungen.

Natürlich können wir die Disruption von globalen Lieferketten nicht ignorieren. Aber diese Forderungen möchte ich nicht unreflektiert gelten lassen. Weil die sinnvollere Alternative etwas mehr Arbeit macht: Nämlich verstehen zu lernen, wie man das bislang Unplanbare planbar, das bisher Unvorhersehbare vorhersehbar macht und wie man Lieferketten ohne zu kurz gesprungene Schnellschüsse zu mehr Resilienz verhilft. Das kann nur mit einer Kombination von global und regional gelingen.

Wir müssen wieder mehr diversifizieren, Stichwort Multi-Sourcing, um künftig nicht mehr so sehr von einem einzigen Lieferanten abhängig zu sein. Aber vor allem brauchen wir mehr Transparenz. Wer nicht weiß, welcher Lieferant an welcher Stelle der Lieferkette von welchem externen Ereignis betroffen ist, kann eine Lieferkette in disruptiven Zeiten schlicht nicht managen. Doch oft wissen Hersteller heute jenseits der direkten Lieferanten nicht einmal, wer wo in der Lieferkette sitzt. Deshalb brauchen wir Transparenz, die ein End-to-End Supply Chain Management erst ermöglicht.

Und: Wir brauchen ein neues Gleichgewicht zwischen Kosten und Bestand. Bis vor Corona nahmen die Bestände drastisch ab, um Kosten zu sparen. Jetzt gehen sie zum Teil noch viel drastischer wieder hoch, weil es anders nicht mehr geht, weil sonst so manche Produktionen trockenlaufen würden – und keinen kümmert es mehr, wieviel Kapital da gebunden wird. Doch sämtliche Lieferartikel, die noch zu haben sind, einfach hochzufahren und auf Lager zu nehmen, ist keine allgemeingültige Handlungsempfehlung. Also brauchen wir ein neues, industrie- bzw. wertschöpfungsspezifisches Gleichgewicht, ein neues Verhältnis von Kosten und Beständen. Dazu gibt es jede Menge guter technologischer Lösungen, die wir drei Schwerpunktthemenbereichen zuordnen können.

Erstens: Was heute unter „Plattform-Ökonomie“ diskutiert wird, ist auf gut Deutsch eine wunderbare Zusammenarbeit verschiedener Partner in Wertschöpfungsnetzwerken, mit der sich externe Schocks auf Basis des Informationsaustausches in Echtzeit sehr viel schneller adressieren und damit managen lassen. Wir bauen hier in Dortmund aktuell an so einem logistischen Beitrag für die Plattform-Ökonomie im Sinne der Silicon Economy.

Zweitens: Blockchain. Diese Technologie bietet uns wie keine andere die Möglichkeit, extrem hohe Transparenz bei extrem hoher Sicherheit herzustellen. Auch in dieser Kategorie sind wir mit dem Projekt „Blockchain Europe“ vorzüglich aufgestellt und unterstützen Unternehmen dabei, sich die Vorzüge der Technologie zu eigen zu machen.

Drittens: KI sowie Big und Smart Data, mit deren Hilfe wir viel bessere Bedarfsprognosen und Forecasts zur besseren Planung von Wertschöpfungsprozessen leisten können bei allen Unwägbarkeiten, die es natürlich auch künftig geben wird.

Ich plädiere stark dafür, dass wir uns in allen drei Schwerpunktbereichen schnell und erheblich weiterentwickeln, um unsere Lieferketten und Wertschöpfungsnetzwerke auch in stürmischen Zeiten am Laufen zu halten. Das ist die nicht-triviale Lösung im Vergleich zu „Wir machen jetzt alles wieder regional“!

Denn wo in der Region sollen die ganzen Lieferanten dafür herkommen? Die gibt es doch längst nicht mehr! Diese Lösung wäre zu einfach, zumal es im letzten Jahr zum Beispiel auch quasi vor der Haustür eine furchtbare Unwetterkatastrophe gab. Diese Lösung funktioniert möglicherweise und mit viel Glück für ein einzelnes Unternehmen – aber doch nicht für eine ganze Volkswirtschaft! Das sollte nämlich unser Ziel sein: Das größte Wohl für die größtmögliche Zahl. Gut, effizient und nachhaltig.

 

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