Agieren, nicht reagieren!

Risikomanagement: ein gutes Stichwort für unsichere Zeiten. Jetzt mal ehrlich:  Wer hatte so etwas wie die aktuelle Pandemie – vorher – auf dem Risiko-Radar? Und mit Schubladen-Plänen hinterlegt?

Wer die beiden Fragen ehrlich beantwortet hat und negativ beantworten musste, ist damit sicher nicht allein. Schlimm ist das nicht, denn meine persönliche und inzwischen über 20 Jahre andauernde Auseinandersetzung mit dem Thema Risk Management hat mich gelehrt, dass wir in Vergangenheit wie in Gegenwart und Zukunft zwar sehr viele Risiken kannten und kennen, identifizieren konnten und identifizieren werden – aber leider auch immer wieder mit einigen konfrontiert wurden, die zwar theoretisch bekannt waren, mit denen aber konkret kein Mensch rechnete.

Wobei „kein Mensch“ nicht ganz zutreffend ist. Bill Gates und einige andere Rufer in der Wüste haben schon vor Jahren auf die Gefahr eine Pandemie hingewiesen. Aber wie so oft bei unpopulären Risiken wollten die meisten nicht auf diese Rufe(r) aus der Wüste hören.

Umso wichtiger ist es für Unternehmen, unabhängig von der aktuellen Krise, ein Risk Management bereitzuhalten, das in der Lage ist oder zumindest bald in die Lage versetzt wird, drohende Risiken frühzeitig, möglichst umfänglich und zuverlässig zu identifizieren, zu analysieren und zu bewerten. Und zwar sowohl Risiken, die heute drohen, als möglichst auch jene, die morgen drohen könn(t)en.

Diesen Dreiklang aus Risiko-Identifizierung, -Analyse und -Bewertung gibt es schon lange und wenn wir auf Logistik und Supply Chain Management schauen: Der Ruf nach einem Supply Chain Risk Management ist keineswegs neu. Doch ernsthafte Bemühungen sind in der Zwischenzeit immer wieder an Stolpersteinen wie zum Beispiel der mangelnden Transparenz in den weltweit verzweigten Versorgungsnetzen gescheitert. Es kam und kommt leider immer wieder vor, dass eine Supply Chain zu einem Zeitpunkt und an einer Stelle unterbrochen wird, die das Risiko-Radar mangels Transparenz nicht oder zu spät auf dem Schirm hatte. Dann kann man nur noch reagieren.

Dabei ist meine zentrale Philosophie des Supply Chain Risk Management natürlich nicht reaktiv, sondern pro-aktiv. Damit will ich nicht unterstellen, dass jegliches Risiko zu vermeiden sei. Im unternehmerischen Umfeld ist das schlechterdings unmöglich. Wenn ich als Unternehmer, Entscheider oder Führungskraft jedes Risiko vermeiden wollte, dürfte ich mein Geld nicht investieren, sondern müsste es auf die Bank tragen – und selbst dort wird es den Risiken von Entwertung und Negativzinsen ausgesetzt sein. Trotzdem muss und kann gutes Risikomanagement pro-aktiv sein und Risiken verringern, indem es sie identifiziert, analysiert und bewertet, wo es nur kann. Und das früh- oder zumindest rechtzeitig, verlässlich und möglichst umfänglich.

Was wir in der aktuellen Krise jedoch sahen und teilweise immer noch sehen, ist eine andere Form von Risk Management, wie wir sie bereits von der letzten Krise vor 13 Jahren (und jeder Krise davor) kennen: das kurzfristig reaktive Risk Management oder kurz Krisenmanagement.

Nichtsdestotrotz täten wir gut daran, uns zu erinnern, was alles zu einem pro-aktiven Supply Chain Risk Management gehört und wie dringend dieses auch in den weltweit verzweigten Wertschöpfungsketten eingesetzt werden muss. Allerdings führt die aktuelle Krise bereits dazu, dass die zum Teil schon bis zum Exzess optimierten Versorgungsketten stückweise wieder zurückgefahren werden und stattdessen auf Relokalisierung gesetzt wird. Das alles sind bereits wirksame Maßnahmen eines krisenbewussten Supply Chain Risk Management. Trotzdem bleibt die Erwartung, ja die Notwendigkeit bestehen, ein wirklich pro-aktives Risikomanagement entlang der Supply Chains zu installieren, da es sie auch nach Bewältigung der Corona-Pandemie geben wird und geben muss. Dazu gehört aktuell vor allem auch, die Versorgungsketten und Wertschöpfungsnetzwerke resilienter zu machen, so dass nach erfolgreichem Ramp-Up asynchroner Wertschöpfungsketten bei einer zweiten Welle der Corona-Pandemie oder einem anderen flächendeckend auftretenden exogenen Schock eben nicht wie in der akuten Krise hektisch reagiert werden muss.

Unabdingbar dafür ist die eben schon bemängelte und allzu oft noch nicht durchgängig vorhandene Transparenz. Eine absolute notwendige Bedingung, für deren Erfüllung wir heute jedoch die nötigen Technologien in Händen halten, die uns diese durchgängige Transparenz nahezu in Echtzeit ermöglichen. Eine dieser segensreichen Technologien ist die oft zitierte Blockchain, die exakt diese Transparenz schaffen kann.

Lassen Sie mich einen optimistischen Ausblick wagen – wobei Optimismus in Krisenzeiten nichts Verkehrtes ist: Wir werden diese durchgängige Transparenz erreichen. Die historische Entwicklung ermutigt uns dazu: Wir haben uns in den zurückliegenden Jahrzehnten vom bloßen Management von Lieferanten- und Beschaffungsrisiken zum Supply Risk Management entwickelt. Seit vielen Jahren nun arbeiten wir daran, die nächste Stufe der Entwicklung zu erklimmen und ein weltweit einsatzfähiges Supply Chain Risk Management zu installieren. Ich glaube, dass wir in den nächsten paar Jahren einen bedeutenden Schritt auf dieses Ziel hin tun können und werden.

Und das nicht nur, weil die Technologien dafür bereitstehen. Sondern auch, weil die aktuelle Krise unsere Sichtweise auf die dringende Notwendigkeit eines zuverlässigen Supply Chain Risk Management noch geschärft hat. Selbst die Einführung eines solchen Risikomanagements wird uns nicht für alle Zeiten Krisensicherheit verleihen. Es wird zukünftig und unabhängig von Corona immer wieder Krisen-Wellen geben, die uns das Äußerste abverlangen. Doch gerade angesichts dieser nahezu philosophischen Unvermeidlichkeit von Krisen wäre es für alle Beteiligten sinnvoll und nützlich und würde viel Geld, Arbeitsplätze und Leid ersparen, wenn wir noch vor einer solchen nächsten großen Welle ein funktionierendes pro-aktives Supply Chain Risk Management einführen könnten, das diesen Namen auch verdient.

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