Fortschritt oder Nachhaltigkeit?

Es ist für viele Unternehmen heutzutage ein immens wichtiges Thema und auch aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr wegzudenken: Nachhaltigkeit. Allerdings nicht nur, weil mit sich verbessernder Pandemiesituation alle wieder mehr darüber reden, weil im Herbst gewählt wird und alle Parteien die Nachhaltigkeit als Wahlkampfthema entdeckt haben oder weil in Deutschland gerade das neue Lieferkettengesetz verabschiedet wurde. Nachhaltigkeit ist vielmehr ein Thema, weil die Auswirkungen des Klimawandels mit jeder Woche, jeder neuen Studie, jeder warnenden Expertenmeinung noch stärker zutage treten und die Zu- und Missstände entlang einiger Lieferketten immer transparenter werden. Die Faktenlage ist inzwischen so dicht und verlässlich, dass weder Klimawandel noch Umweltzerstörung oder Menschenrechtsverstöße im Rahmen der internationalen Wertschöpfung noch länger geleugnet werden können. Also ist Nachhaltigkeit ein, wenn nicht das Thema nicht nur dieser Tage, sondern unserer Zukunft.

Dabei sind auf breiter öffentlicher Basis noch nicht einmal die thematischen Grundlagen umfassend geklärt. Nachhaltigkeit ist eben nicht nur „Das Klima“, „Die Umweltzerstörung“ oder „Die Arbeitsbedingungen in den Minen und auf den Plantagen der Schwellenländer“, wie manche meinen. Nachhaltigkeit ist auch nicht „Klima vs. Unternehmen“. Nachhaltigkeit ist vielmehr und einfach zu merken der Dreiklang aus People – Planet – Profit, aus sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit. Mindestens ein Teil dieses Dreiklangs wird in den Diskussionen geflissentlich und immer wieder übersehen – und das ist ein größeres Problem als manche meinen.

Denn Nachhaltigkeit entsteht nach dieser Definition nicht dadurch, dass sich einer dieser Teile durchsetzt. Sie entsteht vielmehr aus dem konstruktiven Wechselspiel aller drei Teile. Das macht das Thema komplex und kompliziert auf der einen und interessant und lohnend auf der anderen Seite. Besonders populär ist zum Beispiel der angebliche Widerspruch zwischen Technologie und Nachhaltigkeit. Mal werden beide als Kontrahenten diskutiert, dann wieder als Komplementäre. Betrachten wir ein bekanntes Beispiel.

Die deutsche Automobilindustrie treibt derzeit einen umwälzenden technologischen Wandel voran: Vom Verbrennungs- zum Elektromotor – zum Wohle der Nachhaltigkeit! Viele Kommentatoren argumentieren: „Anders sind die Klimaziele nicht zu erreichen!“

Betrachten wir den vielgepriesenen Klimaretter E-Auto genauer. In seinen Batterien wird eine Menge Lithium verbaut, das zu rund 80 Prozent aus südamerikanischen Minen stammt, in denen die Arbeitsbedingungen für Menschen unterschiedlicher Altersgruppen für viele hier im Westen unvorstellbar hart sind. Außerdem wird beim Abbau extrem viel Wasser verbraucht. Nach dem Abbau wird das Lithium über weite Strecken in die USA zur Aufbereitung transportiert und von dort nach China, wo es in Teilen von Batterien verbaut wird, die dann wiederum transkontinental nach Europa verschifft und dort zu Modulen zusammengesetzt und in die Autos eingebaut werden. Alles zusammengerechnet kommt dabei ein CO2-Fußabdruck heraus, der immens groß ist und fairerweise in die Umwelt-, Klima- und Sozialbilanz jedes E-Autos mit eingerechnet werden müsste.

Das Beispiel E-Auto zeigt, wie man zwar Gutes für die Menschheit möchte, indem man einen nachhaltigen Antrieb in Autos einbaut, dabei jedoch soziale, ökologische und ökonomische Herausforderungen zu meistern hat, die bislang oft nur sporadisch in ihrem Wechselspiel diskutiert werden und noch weit davon entfernt sind, gelöst zu sein. Trotzdem setzen Meinungsmacher wie Unternehmenslenker derzeit verstärkt aufs E-Auto. Doch reicht das schon zum Erreichen der Klimaziele? Woher könnte also weitere Unterstützung kommen? Ich meine: Aus der Ecke der Technologie, die von manchen bislang eher als Gegner der Nachhaltigkeit betrachtet wird. Mit der Blockchain-Technologie, der häufig zu Unrecht ein hoher Energieverbrauch unterstellt wird, könnte zum Beispiel eine bislang unerreichte Transparenz jeder Lieferkette erreicht werden, die sehr viel mehr Risiken und Verletzungen der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit aufzeigen könnte als bislang möglich.

Die dabei aufgeworfenen hoch komplexen und teilweise interdependenten Ursache-Wirkungszusammenhänge könnten Künstliche Intelligenzen und Quantum Computing besser als jeder menschliche Verstand analysieren und bei optimalen Lösungen unterstützen. Vor allem könnten diese und andere Technologien in ihrer Verbindung dafür sorgen, dass der nachhaltige Dreiklang harmonisch klingt, keiner der drei Akkorde vernachlässigt wird, auch und gerade der ökonomische Akkord – denn am Ende des Tages müssen Unternehmen Geld verdienen. Tun sie es nicht, können sie sich auch keine Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit leisten.

Ein postulierter Gegensatz von „Technologie vs. Nachhaltigkeit“ ist in meinen Augen also keiner. Technologische Transformationsprozesse führen, wenn sie geschickt gemanagt werden, am Ende nicht zu weniger, sondern zu mehr Nachhaltigkeit. Wir brauchen den technologischen Fortschritt. Wir brauchen das, was wir hier in Dortmund mit der Vision der Silicon Economy für Logistik und Supply Chain Management verfolgen.

Noch in der Corona-Krise lernten wir die Möglichkeiten der digitalen Technologien kennen und schätzen und haben sie in extrem gestiegenem Ausmaß sowohl beruflich als auch privat genutzt. Diesen Rückenwind sollten wir, auch wenn Corona irgendwann vorbei ist, in die Zukunft mitnehmen. Damit wir die im Vergleich zu Corona deutlich größeren Herausforderungen des Klimawandels, der Umweltzerstörung und der Arbeitsbedingungen in den internationalen Liefernetzwerken nicht nur wie bislang vor allem lebhaft diskutieren, sondern tatsächlich so schnell und so erfolgreich wie möglich meistern.

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