Carpe Diem: Die Krise nutzen

Ein Thema hat mich in den letzten Tagen und Wochen ganz besonders beschäftigt: die Rolle der digitalen Technologien in der akuten und aktuellen Situation im Allgemeinen und beim Management von Financial Supply Chains im Besonderen.

Wir haben – wie wahrscheinlich viele andere auch – in den letzten Wochen die konkreten Auswirkungen der Pandemie auf den globalen Handel und seine Supply Chains genau verfolgt und wie wahrscheinlich die meisten den Schluss daraus gezogen: Die Pandemie-Folgen für das globale Wirtschaftswachstum und den globalen Handel, der via Supply Chain Management gesteuert und per Logistik ermöglicht und abgewickelt wird, sind dramatisch. Um den alarmierenden Zahlen nur eine einzige hinzuzufügen: Wir haben während der letzten Wochen den größten jemals gemessenen Rückgang an zurückgelegten Fracht-Kilometern (Truck Mileage) weltweit hinnehmen müssen. Und das trotz des krisenbedingt großen Wachstums des E-Commerce, zu dem wir wohl alle auf die eine oder andere Weise beigetragen haben. Wenn Logistik der Motor der Weltwirtschaft ist, dann stottert dieser Motor aktuell und wir müssen uns fragen, wie Supply Chain Management und insbesondere Financial Supply Chain Management unter Einbezug digitaler Technologien damit umgehen oder umgehen sollten.

Das beginnt bereits bei sehr profanen, jedoch grundlegenden Arbeitsprozessen wie dem Austausch von auch grenzüberschreitenden Handelsdokumenten. Wenn dieser notwendige Austausch in der größtenteils immer noch üblichen Papierform wegen eines Lockdowns nicht mehr möglich ist, dann muss das eben digital möglich sein oder spätestens jetzt auf Basis unserer Krisenerkenntnisse ermöglicht werden. Die derzeitige Unsicherheit vor dem Hintergrund einer möglichen zweiten Corona-Welle macht es auch notwendig, u.a. noch intensiver in Richtung digitaler Bezahlmöglichkeiten zu denken und auf diese Weise ganz nebenbei einen Beitrag zum Social Distancing zu leisten. Und das sind lediglich zwei Beispiele, die verdeutlichen, worauf ich hinaus möchte: Die Pandemie ist unter anderem auch so etwas wie ein Technologie-Akzelerator. Oder anders ausgedrückt: Sie sollte dringend als solcher erkannt, in möglichst vielen Anwendungen verstanden und auch konsequent genutzt werden. In einigen Anwendungen hat das in der Krise bereits sehr gut funktioniert.

Viele Berufstätige haben die digitale Option des Home Office genutzt, viele haben sich via Videokonferenz mit Arbeitskollegen und Geschäftspartnern vernetzt – sehr zum Nutzen auch des Klimas. Das sind schöne Anfangserfolge, die uns jedoch nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass zwar seit Jahren über die Digitale Transformation geredet wird, deren Nutzen und Anwendungen jedoch bislang nicht annähernd erschöpfend realisiert worden sind. Man muss die Digitale Transformation im B2B-Bereich   intensiv weiter vorantreiben und konsequent die benötigten Lösungsansätze implementieren.

Wir haben doch schon alle Technologien, die dafür nötig sind, von der Blockchain über das IoT bis hin zur Künstlichen Intelligenz – wir brauchen das alles „nur noch“ miteinander in Verbindung zu setzen und uns zu vernetzen, genauso, wie wir es mit unserer Zukunftsvision für Supply Chain Ecosystems – der Silicon Economy – und deren Verknüpfung von Material-, Informations- und Finanzströmen anstreben. Damit ermöglichen wir dann hoffentlich bald auch ein modernes, übergreifendes, echtes und vor allem krisenfestes Financial Supply Chain Management.

Die Silicon Economy steht für die vollständige Virtualisierung von Wertschöpfungsnetzwerken, in denen die nötigen Daten nicht nur ausgetauscht und gesammelt, sondern auch revisionssicher gebucht und gehandelt werden – und erzielen eine nie erreichte Transparenz über die verschiedenen Netzwerkstufen. Damit schaffen wir auch gleichzeitig die Grundlage für den lang geforderten Übergang vom vielfach praktizierten Reverse Factoring zur echten Supply Chain Finance.

Der Unterschied zwischen beidem ist, vereinfacht gesagt: Beim Reverse Factoring werden Finanzströme zwischen einem Unternehmen und seinem Lieferanten unter Einbezug eines Finanzdienstleisters ermöglicht und koordiniert. Doch in der schönen neuen Welt der echten Supply Chain Finance sollte das nicht nur zwischen zwei Handelspartnern, sondern lieferketten-übergreifend zwischen sämtlichen Partnern passieren, multipliziert über alle Lieferstufen eines Wertschöpfungsnetzwerks, auf der Basis umfassender Transparenz. Das würde uns alle und die Supply Chain Finance einen entscheidenden Schritt weiter in eine digitale und krisenfeste Zukunft bringen.

In der aktuellen Situation müssen wir leider mit ansehen, wie gerade auch kleine und mittlere Unternehmen von der Krise arg gebeutelt werden und um lebensnotwendige Liquidität ringen. Um die Krise zu überleben, brauchen sie eine schnelle und reibungsfreie Finanzierung, die ihnen eine digitale Supply Chain Finance nach dem skizzierten Vorbild gewährleisten könnte. Insofern könnten wir feststellen, dass bei all den negativen Dingen, die die Krise mit sich brachte, zentrale Themen der Digitalisierung notgedrungen viel schneller und weiter vorangebracht wurden, als wir uns das vor der Krise vorstellen konnten.

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